10 Kultur und Entartung

Ein Warner war Nietzsche, welcher als Priester des Dionysos Instinkte und Sinne als Quelle des Lebens gegenüber einer erd- und lebensfernen Geistigkeit pries und verteidigte.
"Die Vernünftigkeit um jeden Preis, das Leben hell, kalt, vor- sichtig, bewußt, ohne Instinkt, im Widerstand gegen Instinkte war selbst nur eine Krankheit. ...Die Instinkte bekämpfen müssen – das ist die Formel für decadence: solange das Leben aufsteigt, ist Glück gleich Instinkt." ("Götzendämmerung" Bd4 X, 250). Nietzsche bekannte sich als Feind einer Moral des Schwachen, einer das Schwache auf Kosten des Starken begünstigenden Humanität. Er tritt ein für das "Interesse des aufsteigenden Lebens, das rücksichtsloseste Nieder- und Beiseitedrängen des entartenden Lebens. [...] Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft" (Bd. X, 319).
Was die unten angeführten Zahlen beweisen werden: Nach Nietzsche bringt "die zunehmende Zivilisation zugleich notwendig auch die Zunahme der morbiden Elemente des Neurotisch-Psychiatrischen und des Kriminalistischen mit sich". Nietzsche weist auch schon auf rassenhygienische Forderungen als Schutzmaßnahmen gegen die Entartung hin:
"Auch ein Gebot der Menschenliebe. – Es gibt Fälle, wo ein Kind ein Verbrechen sein würde: bei chronischen Kranken und Neurasthenikern dritten Grades."
"Die Gesellschaft, als Großmandatar des Lebens, hat jedes verfehlte Leben vor dem Leben selber zu verantworten – sie hat es auch zu büßen; folglich soll sie es verhindern. Die Gesellschaft soll in zahlreichen Fallen der Zeugung vorbeugen: sie darf hierzu, ohne Rücksicht auf Herkunft, Rang und Geist, die härtesten Zwangsmaßregeln, Freiheitentziehungen, unter Umständen Kastrationen in Bereitschaft halten. Das Bibelverbot "Du sollst nicht töten" ist eine Naivität im Vergleich zum Ernst des Lebensverbots an die Entarteten: "Ihr sollt nicht zeugen. [...] Das Leben selbst erkennt keine Solidarität, kein 'gleiches Recht' zwischen gesunden und entartenden Teilen eines Organismus an: letztere muß man ausschneiden -oder das Ganze geht zugrunde. - Mitleid mit den Entarteten, gleiche Rechte auch für die Mißratenen – das wäre die tiefste Unmoralität, das wäre die Widernatur selbst als Moral" (Bd. X, 11, 12.)
Abgesehen von der antiselektorischen Wirkung der Zivilisation durch Begünstigung der Existenz der im Naturzustande zugrunde gehenden Elemente, ist die Zivilisation schon an sich lebensfeindlich und damit zugleich entartend, indem sie auf einer Hemmung der Triebkräfte des Lebens beruht und dadurch eine Spaltung und Zerrissenheit in dem Gefüge des organischen Geschehens hervorruft: diese Spaltung und Feindschaft zwischen Geist und Leben dürfte eine der wesentlichsten Bedingungen der nervösen Entartung des Menschen sein, welche auch die ständige Zunahme von Geisteskrankheiten und Verbrechen zur Folge hat.

11 Kultur und Entartung

Nach Oswald Spengler – man kann ihn in diesem Zusammenhang nicht übergehen – sind "Zivilisation [...] die äußersten und künstlichsten Zustände, deren eine höhere Art Menschen fähig ist. Sie sind ein Abschluß; sie folgen dem Werden als das Gewordene, dem Leben als der Tod. [...] Sie sind ein Ende, unwiderruflich".
Engen wir nach dieser allgemeineren Betrachtung über die Entartung das Blickfeld auf einen Kreis ein, welcher sich der Peripherie des vorliegenden Problems mehr nähert, fragen wir den Arzt, ob unser Volk von einer Entartung bedroht ist, so erhalten wir keine einstimmig bejahende Antwort.
Bumke kommt in seiner Monographie über "Kultur und Entartung" zu folgendem Ergebnis:"Daß die Geisteskrankheiten im ganzen häufiger geworden seien, ist nicht bewiesen, und groß kann dieser Zuwachs jedenfalls nicht sein. Psychopathen und erbliche Geisteskrankheiten freilich wird es immer geben, aber ihre Zahl wird nicht zunehmen, denn die kranken Eigenschaften unterliegen denselben Vererbungsgesetzen wie die gesunden, und daß sich erworbene 'nervöse Zustände' vererben könnten, war eine Fabel. Wichtiger aber als aller Streit, ob die Entartung zugenommen hat, ist die Erkenntnis, daß sich alle nachweisbaren Degenerationserscheinungen auf äußere, soziale Ursachen zurückführen lassen; denn damit ist uns die Möglichkeit geboten, ihrer Herr zu werden. Infektionskrankheiten und Gifte, Alkohol und Syphilis voran, können beseitigt werden, wie Pocken und Pest schon aus unseren Grenzen vertrieben worden sind, aber auch die funktionellen Nervenkrankheiten werden sich einschränken lassen.
Haben innere Gesetze - und schließlich entwickelt sich doch auch die Kultur nach solchen Gesetzen - unserer Rasse das Schicksal bestimmt, einst durch die mongolische abgelöst zu werden, so wird uns auf die Dauer keine Rassenhygiene und keine Aenderung des Eherechts retten."
Er spricht von einer Entartungsangst, die nichts weiter sei als ein Ausdruck der Tatsache, daß unsere Zeit eine Uebergangsepoche sei. In früheren Uebergangszeiten wie der alexandrinischen, der ersten römischen Kaiserzeit und im Frankreich des 18. Jahrhunderts sei eine, ähnliche, eben für alle Uebergangsepochen charakteristische, pessimistische Grundstimmung vorhanden gewesen.
Nach Möbius ist der "Verfall der Religionen, den wir bei den alten und neuen Völkern mit einer gewissen Stufe der Zivilisation verbunden sehen" eine Ursache der Geistes- und Nervenkrankheiten.
Daß im Gegensatz zu den anderen an Entartung zugrunde gegangenen Kulturvölkern die älteste lebende Kulturnation, China, ihre Volkskraft und ihre Kultur bewahrt hat, ist vor allem der Wirkung der trotz aller Kultur in unzerstörter Geltung erhaltenen Sitte des Ahnenkultus zuzuschreiben.